Conradin Stiffler studierte Architektur an der ETH Zürich und Kunst an der SKDZ-Schule für Kunst und Design Zürich. Er lebt und arbeitet in Erlenbach ZH und Davos GR.
Text von Dr. Tanja Warring, Direktorin Museum Luzern für die Einzelausstellung 2023 in der Galleria ReCreArte in Locarno/Tessin
Ein zerknülltes Wäschestück, achtlos in die Ecke geworfen – unscheinbar und doch faszinierend. Dinge dieser Art werden normalerweise übersehen und doch ziehen sie uns unter Umständen auf eigentümliche Weise in den Bann. Manchmal ist es das Spiel des Licht, das bei längerer Betrachtung auf den Oberflächen ein Eigenleben entwickelt. Dann wieder sind es die Farben, die je nach Beschaffenheit des Stoffes an Intensität gewinnen oder sich im Dunkel der Falten verlieren.
Das eigentliche Objekt spielt bei diesem Eintauchen in die Welt des Nebensächlichen keine Rolle. In den Gemälden von Conradin Stiffler (*1968) scheint es jedenfalls so. Indem er sich als Maler auf extreme Nahsicht an die unterschiedlichen Materien regelrecht heranzoomt, lässt er etwas Neues, bestechend anderes in Form sanft gewellter Landschaften, eng geschichteter Blütenblätter oder wild verschlungener wurmartiger Gebilde entstehen. Was beim ersten Hinsehen an Minimal Art erinnert, an eine nahezu akribische Konzentration auf das Wesentliche, gewinnt auf den zweiten Blick deutlich an Reibung. Die Wahl des Ausschnitts richtet sich nicht nach der Ursprungsform. Das Wäschestück mag zwar Auslöser der Gemäldeserie «Farbtexturen» gewesen sein, doch die daraus entstandenen Bildwelten entwickeln längst ein fantastisches Eigenleben.
Conradin ist gelernter Architekt und wie ein Architekt «baut» er seine Gemälde in Schichten auf. Er beginnt mit der Grundierung der Leinwand in einem ausgesuchten Farbton, da er keine weissen Leinwände mag, wie er selbst sagt. Dann skizziert er die Formen nach einer Vorlage, bzw. der Oberfläche eines Gegenstandes, der ihm ins Auge sticht. Es kann eine Pflanze sein, ein Insekt oder der Panzer einer Schildkröte. Bereits an diesem Punkt beginnen die Linien ein Eigenleben zu entwickeln, von dem er sich leiten lässt. Sein Vorgehen erinnert dabei durchaus an die automatische Linienführung der Surrealisten. Er versucht den Entstehungsprozess der Formen bewusst nicht zu beeinflussen, was schliesslich für den Betrachter deutlich spürbar bleibt. Ursprünglich starre Oberflächen scheinen mit einem Mal bewegt – fast lebendig, in gewisser Aufruhr.
Die nachfolgenden Farbschichten werden jeweils lasierend aufgetragen. Conradin arbeitet gut und gerne zwei bis drei Tage an einer Schicht. Es folgen Schicht um Schicht, erst in Schwarzweiss, dann in Farbe. Eventuell wählt er Komplementärfarben und lässt sich von der Wirkung überraschen. Es dauert, bis ihn das Bild anspricht, die Farben in der Art leuchten, dass er zufrieden ist. Es ist, als suche er gezielt im Unscheinbaren nach der absoluten Perfektion. Manchmal stellt er das Bild für einige Zeit wieder weg oder hängt es an die Wand um mit einzelnen Stellen zu hadern, bis er wieder weiss, wie er weitermalen will. Er ist definitiv ein Perfektionist und arbeitet, bis die Farben zwischen den Linien und Schatten eigentümlich schillern. Damit erlangt er einen Effekt, der an glänzende Seide aber auch an feuchte Innereien oder Schleimhäute erinnert. Das Resultat ist ein eigentümlicher Kontrast zwischen strenger Kühle und sehr fleischlicher Sinnlichkeit.
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